Tom Ots
„Die schönen Künste (hier können verschiedene Begriffe stehen) waren ihm nicht in die Wiege gelegt.“ So heißt es oft in Lebensläufen. Und bei mir? Die deutsche Sprache. Als Kind estnischer Eltern – in einem hannoverschen Flüchtlingslager geboren – war Deutsch meine erste Fremdsprache.
Ich liebte das Schreiben. Im Gymnasium gründete ich mit Freunden die Schülerzeitschrift „Wir“, als Austauschstudent in Texas belegte ich das Fach Journalism und war Redakteur der wöchentlich erscheinenden Schülerzeitung „The Wheel“, als Student war ich der erste Chefredakteur der kommunistischen Monatsschrift „Dem Volke dienen“ – natürlich in Berlin.
Ich wurde Arzt, verbrachte drei Studienjahre zur chinesischen Medizin in Peking und Nanking und interessierte mich mehr und mehr für die Begegnung und das Zusammenleben unterschiedlicher Völker. So studierte ich mit 40 Jahren auch noch Ethnologie, unterrichtete Sozialmedizin und später Gesundheitsförderung. Ich schrieb nebenbei an Artikeln für den „Spiegel“, „Geo“ und weitere Zeitschriften, verfasste Bücher und Buchbeiträge zur chinesischen Medizin, zum Embodiment, und gemeinsam mit Thure von Uexküll und Thomas Sebeok zur Biosemiotik. Als Chefredakteur der größten Akupunkturzeitschrift außerhalb Chinas (die deutsch-österreichische Zeitschrift für Akupunktur) bemühte ich mich insbesondere um Medizin im Kontext von Kultur, Gesellschaft, Politik und Natur. So entstand auch „Kommissar Mozart“, ein nicht ganz typischer „Krimi“ mit unerwartetem Ende.
Zehn Städte dieser Welt sahen mich als ihren Bürger, bis ich vor 28 Jahren Österreich zu meiner Heimat erkor. Doch gleichzeitig zog es mich immer wieder zurück in die Heimat meiner Eltern. Der „Kussbrunnen“ basiert auf einem glücklichen Zufall – mein Zusammentreffen mit Arvo in der estnischen Universitätsstadt Tartu. Durch ihn wurde ich in den Unterschied von Glück und Stolz eingeweiht, lernte Verzeihen und Versöhnung und damit die Möglichkeiten des Zusammenlebens von Esten und Russen schätzen, mithin unterschiedlicher Ethnien insgesamt – ein Fünkchen Hoffnung in diesen unruhigen Zeiten.
Prof. a.D. Dr. med. Dr. phil. Thomas Ots