Manuelle Medizin über "Beschreibende und funktionelle Anatomie" (L. Beyer)

Sucht man ein  Lehrbuch für Anatomie, so gibt es eine relativ große Auswahl. Alle beschreiben doch denselben Körper. Wo liegen die Unterschiede? Was ist das Besondere am vorliegenden Buch?
Bereits 1956 legte Prof. Tittel, der an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport lehrte, ein Lehrbuch der Anatomie für Fernstudenten unter betont angewandten Aspekten vor.
Auch in der nun 15. aktualisierten Auflage hat das Buch seinen ursprünglichen Charakter behalten: es  ist in einer leicht eingängigen Sprache verfasst; die Darlegungen sind von langjähriger Erfahrung mit Studierenden geprägt, die Anatomie auch im Selbststudium zu erlernen; es ist stark funktionsbezogen und beinhaltet viele angewandte Aspekte.
Der erste Teil ist den Grundbegriffen und der Gewebslehre gewidmet.
Den Kernteil bilden das „Stütz- und Bewegungssystem“ und die „angewandte Anatomie in Alltag und Sport“. Schon die Wortwahl „Stütz- und Bewegungssystem“ gegenüber dem meist in der Anatomie gebrauchten „Bewegungsapparat“ lässt die Betonung des Funktionellen auch in der Anatomie deutlich werden. In beiden Abschnitten dominiert eine ganzheitliche Betrachtungsweise. „Kinematische Gelenksysteme“, „kettenartige Zusammenhänge“ und „Fernwirkungen von Muskeln auf Gelenke“ sind weiterer Ausdruck der Besonderheit dieser „ganzheitlichen“ Anatomie – eine Besonderheit, die gerade in der Manuellen Medizin und Osteopathie hervorgehoben wird, da sie eine Grundlage des diagnostischen Denkens und des therapeutischen Vorgehens ist. Die Beteiligung von Muskeln, Bändern und Gelenken in komplexen mehrgelenkigen, energetisch anspruchsvollen Bewegungen als geschlossenes System, wird anatomisch beschrieben. Der Autor definiert Funktionseinheiten, die so genannten „Muskelschlingen“, die anhand typischer Alltags- und Sportbewegungen auf 80 Seiten und ca. 50 Abbildungen streng schematisiert  dargestellt sind. Dabei ist eine Zielstellung des Autors, den Studierenden in die Lage zu versetzen, anhand der erlernten Algorithmen Bewegungen selbst gezielt zu beobachten, zu analysieren und Schlüsse für Korrekturen zu ziehen. Ein weiterer Abschnitt sind die Organsysteme, die ebenfalls sehr gut verständlich beschrieben sind. In die Texte eingefügt sind als „Exkurs“, „Klinik“ der „Sport“ gekennzeichnete weiterführende Erklärungen zum jeweiligen anatomischen Betreff. Das Buch hat ein Fachwortverzeichnis und eine Literaturzusammenstellung, welche konsequent auf neuere Ergebnisse angewandter Grundlagenforschung unter ganzheitlichem funktionellem Aspekt ausgerichtet ist.
Das Lehrbuch wendet sich an einem breiten Leser- und Nutzerkreis: im Sport sind es Sportmediziner, Trainer und die Sporttreibenden selbst; in der physikalischen und rehabilitativen Medizin sind es die Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Sporttherapeuten.  Mit dieser Zielstellung wurde das  Buch in der jetzigen Auflage durch einen Rehabilitations- und Sportmediziner aktualisiert. Das Buch ist aber, wie schon eingangs erwähnt, so geschrieben, dass es auch verständlich und interessant für die zahlreichen Jünger von Fitness und Freizeitsport ist oder für jeden, der sich eingehender mit dem Aufbau seines Körpers befassen möchte.  Physiotherapeuten, die anspruchsvolle Fortbildungskurse besuchen, kann das vorliegende Buch zum begleitenden Selbststudium empfohlen werden. 

L. Beyer
Manuelle Medizin, Heft 2, 2013