Christoph Colling über "Kognitive Verhaltenstherapie bei Diagnose Krebs" (Stirling Moorey, Steven Greer)


Die Diagnose einer Krebserkrankung zu erhalten, stellt im Leben der Betroffenen in aller Regel eine Zäsur dar. Nicht wenige erleben im Verlauf der Erkrankung psychische Beschwerden bzw. eine Belastung sozialer Beziehungen. Mit dem Ziel einer größtmöglichen Lebensqualität und der Linderung von Leid ist dann eine entsprechend kompetente Unterstützung über eine rein biomedizinische Behandlung hinaus essenziell.

Die ursprüngliche Form der Verhaltenstherapie fußte wissenschaftstheoretisch auf dem Behaviorismus und fokussierte sich therapeutisch auf die Veränderung beobachtbaren Verhaltens (z.B.: Exposition bei Phobien). Ab 1955 erfolgte die „kognitive Wende“ (wichtige Protagonisten: A. Ellis, A. Beck, D. Meichenbaum). In kognitiven Therapieansätzen wird u.a. auf eine Veränderung Leid verursachender (dysfunktionaler) Gedanken abgezielt (z.B. von kognitiven Verzerrungen wie etwa „Katastrophisieren“). Man könnte die Grundidee mit Epiktets Worten ausdrücken: „nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen“ (*). Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) nutzt sowohl behaviorale als auch kognitive Techniken und hat sich als Verfahren bei zahlreichen psychischen Störungen als wirksam erwiesen.

Die erste Auflage des vorliegenden Buches erschien bereits 1989. Die Autoren stellten damals ihren Ansatz der „adjuvanten Psychotherapie“ (APT) vor, einer Variante der KVT für Personen, welche von einer Krebserkrankung betroffen sind. Das war alles andere als selbstverständlich: bei Erscheinen der zweiten englischen Auflage (2012) wurde im Geleitwort treffend darauf hingewiesen, dass damals die Psychoonkologie „noch in den Kinderschuhen steckte“ und die Autoren „Pionierarbeit“ geleistet hatten. Inzwischen kann der Ansatz sowohl auf Jahrzehnte klinischer Erfahrung als auch auf wissenschaftliche Studien zurückgreifen, welche in die 2. Auflage einflossen.

Beide Autoren sind Psychiater und ausgewiesene Experten auf dem betreffenden Gebiet: S. Moorey war einer der ersten Therapeuten, welche die kognitive Therapie bei deren Begründer Aaron Beck erlernt hatten. S. Greer hat u.a. in Großbritannien die KVT in der Krebstherapie eingeführt und den Begriff „fighting spirit“ („Kampfgeist“) in der Psychoonkologie geprägt.

Das vorliegende Buch richtet sich an Fachkräfte im Gesundheitswesen, welche mit von Krebs betroffenen Personen arbeiten. Natürlich an Psychiater und Psychologen, welche psychotherapeutisch im engeren Sinne arbeiten, aber genauso auch an Pflegekräfte und Onkologen, welche einzelne der vorgestellten Elemente in ihrer Tätigkeit umsetzen wollen. In Teil I (Kapitel 1–2) wird nach einem eindrücklichen Bericht über die Erfahrungen und emotionalen Reaktionen Betroffener das kognitive Modell der Anpassung an Krebs erläutert. In Teil II (Kapitel 3–15) werden ausführlich die therapeutische Beziehung und das methodisch-technische Vorgehen der Arbeit mit diesem Ansatz geschildert, wobei immer wieder auch konkrete Fallbeispiele gegeben werden. Teil III diskutiert Studien zur Wirksamkeit von KVT-Interventionen auf die Lebensqualität bei Krebspatienten sowie zur Frage, ob Psychotherapie das Überleben beeinflussen kann. Teil IV umfasst einen Anhang mit Informationsmaterial, Fragebögen/Checklisten und Formularen für die Therapiesitzung, welche auch mittels QR-Code heruntergeladen werden können. Abgerundet wird das Buch durch ein ausführliches Literaturverzeichnis und einen Index.

Der gewählte Ductus ist klar und gut lesbar. In Übersetzung und Lektorat wurde sichtlich viel Sorgfalt investiert, lediglich punktuell könnte die deutsche Übersetzung noch präziser sein (z.B. wäre der wertfreie Begriff „Suizid“ statt „Selbstmord“ zu bevorzugen). Bereits mit Lektüre der Kapitel 1–3 kann man sich eine kurze, doch gehaltvolle „Schnellbesohlung“ holen z.B. in Hinblick auf Verständnis für die entsprechenden Zusammenhänge, empathischer Gesprächsführung und Psychoedukation. Kapitel 4–15 geben in wohl allen praxisrelevanten Fragen der störungsspezifischen KVT hilfreiches Rüstzeug an die Hand.

Fazit:
Ein hervorragendes Buch, von dem Interessierte aus der Zielgruppe sicherlich profitieren werden. Viele der vorgestellten Aspekte können auch außerhalb eines „Psychotherapie-Settings“ genutzt werden. Manche Elemente lassen sich zudem wohl auch allgemein auf die psychosoziale Unterstützung von Menschen mit chronischen körperlichen Erkrankungen übertragen, was ja gerade für uns Akupunkteure nicht unrelevant ist.
Mich persönlich hat bereits in den einführenden Kapiteln beeindruckt, wie die Autoren ein tiefgehendes Verständnis für die Thematik befördern. Erkenntnisse aus sowohl wissenschaftlicher Evidenz als auch eigener klinischer Erfahrung werden um sehr berührende Fallbeispiele und Wortäußerungen Betroffener ergänzt, welche dem geneigten Leser auch ein einfühlendes Verstehen ermöglichen. Zusätzlich zum enormen Erfahrungsschatz, den die Autoren bereitstellen, wird dabei immer wieder auch eine respektvolle, mitfühlende und engagierte Haltung transportiert.

Christoph Colling

* Epiktet, Handbüchlein der Moral (Encheiridion), von Arrian angefertigter Auszug aus den Lehrgesprächen Epiktets, um 125 n. Chr. [5]. Online abgerufen am 13.08.2021: https://foruq.com/books/de/Philosophie/Handbuchlein-der-Moral-Epiktet.pdf)