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Herz- und Kreislaufsystem
(Systema cardiovasculare)
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Das sog. „kritische Herzgewicht“ liegt bei 550 g. Bis
zu diesem Wert wird jede Herzmuskel-Massezunahme
(Hypertrophie)
von einer verstärkten Durchblutung be-
gleitet, die auf eine verstärkte Eröffnung von Kapillaren
zurückzuführen ist. Dieser Grenzwert wird auch bei Her-
zen Sporttreibender nur selten überschritten. 600–800 g
schwere Herzen weisen keine entsprechend vermehrte
Durchblutung und Sauerstoffversorgung der Myokard-
fasern durch die Koronargefäße auf und müssen deshalb
als pathologische Werte angesehen werden.
Es gibt beispielsweise zwischen der Herzgröße von frei
lebenden Tieren und von Haustieren ganz beträchtliche
Unterschiede, die in folgender Tabelle festgehalten sind,
wobei es sich jeweils um die
relative Herzmasse
(aus-
gedrückt in Promille der Körpermasse, d. h. je kg Kör-
permasse) handelt:
Relative Herzmasse verschiedenerTierarten
Stallkaninchen
2,40 Wildkaninchen
2,76
Hausente
4,40 Wildente
6,98
Haushund
5,00 Windhund
11,05
Brauereipferd
6,03 Rennpferd
11,55
Können wir derartige, sich durch eine verstärkte körper-
liche (Ausdauer-)Belastung ausprägende vergrößerte und
schwere Herzen auch beimMenschen beobachten? Diese
Frage kann auf Grund vielfältiger Untersuchungsbefunde
und Langzeitbeobachtungen ausnahmslos bejaht werden.
Es konnte u. a. festgestellt werden, dass das
Wachstum
eines Muskels
erst dann einzusetzen beginnt, wenn er
den an ihn gestellten Forderungen nicht mehr ganz ge-
recht werden kann.
S
port
Dieser Zeitpunkt liegt beimSkelettmuskel an einer anderen
Stelle als bei der Herzmuskulatur. So begegnen wir einem Wachstum
der Skelettmuskeln hauptsächlich bei denjenigen Sportarten, die be-
sonders große Leistungen (d. h. Arbeit in der Zeiteinheit) erfordern, aber
gerade deshalb keine Dauerleistungen, sondern Kraft- bzw. Schnellig-
keitsleistungen (Sprint, Schwerathletik usw.) darstellen:
• So begegnet man bei Kurzstreckenläufern einer kräftigen, volumi-
nösen Ausbildung derjenigenMuskelgruppen, die sie hauptsächlich
benutzen.
• Demgegenüber trifft man bei typischen Dauerleistungen (Lang-
streckenlauf, Etappen-Radfahren) keine wesentliche Zunahme der
Skelettmuskulatur an; hier ist die Arbeit in der Zeiteinheit eine relativ
geringe.
Beim
Herzen
dagegen scheint das Wachstum dann ein-
zusetzen, wenn es seine Tätigkeit nicht mehr durch eine
Frequenzerhöhung, sondern nur noch mit Hilfe einer
physiologischen Vergrößerung des Schlagvolumens be-
wältigen kann. Wir sehen eine
Herzvergrößerung
(als
Ausdruck einer allmählichen Anpassung an erhöhteTrai-
ningsanforderungen) gerade bei solchen Leistungen, die
die Skelettmuskulatur auf
Ausdauer
belasten: Ruderer,
Etappen-Radsportler, Langstreckenläufer, Langstrecken-
schwimmer, Skilangläufer zeichnen sich durch besonders
große und kräftige Herzen aus. Bei ihnen werden Herz-
volumina, die vergleichsweise bei untrainiertenMännern
im Mittel 750 ml, bei Frauen 550 ml betragen,
•• von 900–1200 ml bei Männern und 800–1000 ml
bei Frauen
•• imExtremfall (auch bei Berufsstraßenradrennfahrern)
von 1700 ml gefunden.
Das maximale Sauerstoffaufnahmevermögen belief sich
bei diesen Athleten auf über 6 l/min.
S
port
Daraus ergibt sich, dass eine bestimmte Art sportlicher
Betätigung die Skelettmuskulatur zum Wachstum reizt und doch das
Herz relativ unbeeinflusst lässt und umgekehrt.
Der wahre Maßstab für die Beurteilung einer Herzgrö-
ße ist die jeweilige Beanspruchung. Ein anschauliches
Beispiel dafür ist das
„Sportherz“
(
▶
Kap.
15.4), das
– von Henschen 1899 an Skilangläufern perkutorisch
erfasst und erstmalig beschrieben – eine physiologische,
harmonische Anpassung an höhere ausdauerbetonte
Trainings- und Wettkampfanforderungen darstellt und
dessen regulative Größenzunahme sich durch die Be-
stimmung des Herzvolumens sowie der Dickenzunahme
der linken Ventrikelwand echokardiografisch objekti-
vieren lässt.
Herzlage
Das Herz mit seinem Beutel liegt der Zentralsehne des
Zwerchfells
(Centrum tendineum diaphragmae)
auf und
wird seitlich jeweils von Lungengewebe überlagert, so
dass in der Mitte nur ein schmaler Streifen frei bleibt, der
sich der hinteren Brustbeinfläche unmittelbar anschließt.
Die Längsachse des Herzens zieht – um etwa 40° gegen
die Sagittal- und gegen die Frontalebene geneigt – in
schräger Richtung von rechts oben hinten nach links
unten vorn, wobei zwei Drittel des Herzens links von
der Median- oder Symmetrieebene und ein Drittel rechts
davon liegen. DesWeiteren ist das Herz um seine Längs-
achse so gedreht, dass die rechte Kammer ventral, die
linke dorsal angetroffen wird. Nach unten zu verjüngt
sich der Herzmuskel zur sog. „Herzspitze“
(Apex cordis).
K
linik
Bei einer Kontraktion des Herzmuskels wird die Vorderwand
der linken Herzkammer gegen die vordere Brustwand gedrückt, es
kommt zu einer mehr oder weniger starken Erschütterung etwa des
5. Zwischenrippenraums, dieman zumindest tasten, inmanchen Fällen
(bei leptosomen Typen) sogar sehen kann und die als „Herzspitzenstoß“
registriert wird.
Lage und Form des Herzens werden zu einem großenTeil
von den imBrustkorb vorherrschenden Raumverhältnis-
sen bestimmt. So besitzt der Pykniker mit seinem fassför-
migen Brustkorb eine andere Herzkonfiguration als der
Astheniker mit seinem schmalen, engen Brustkorb.
Des Weiteren übt die tiefe Atmung einen Einfluss auf
die jeweilige Lage und Form des Herzens aus. BeimAus-
atmen liegt es dem relativ hoch stehenden Zwerchfell in
Gestalt eines Schuhs (oder einer schwimmenden Ente)
breit auf, während beim Einatmen das Zwerchfell durch