Geleitwort
Die Neurorehabilitation nach Hirnschädigung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von
der Rehabilitation in anderen Fachbereichen:
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Ein Symptom kann durch eine direkte Schädigung der beteiligten Nervenbahnen gestört sein,
aber es ist auch möglich, dass die Planung oder das Konzept für die Aufgabe gestört ist. Zum
Beispiel wird ein Patient den Arm erschwert einsetzen können, wenn eine Parese oder proprio-
zeptive Störung vorliegt. Es kann aber auch sein, dass der Patient an einer Apraxie leidet. Im
Zentrum steht daher die genaue Problemanalyse und das erfordert in der Regel die Mitbeur-
teilung durch mehrere Fachdisziplinen.
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Ein Symptom tritt selten allein auf und in der Regel handelt es sich bei einer Hirnschädigung
um ein Syndrom mit verschiedenen Symptomen. Bei einem Mediasyndrom können sowohl
eine Parese, eine Sensibilitätsstörung, als zusätzlich auch eine Apraxie, ein Neglect oder eine
Aphasie auftreten. Wie sollte der Patient mit zusätzlichem Neglect lernen, seinen paretischen
Arm einzusetzen, wenn die Körperseite oder der Raum vernachlässigt wird? Wie sollte der
Patient bei zusätzlicher Aphasie mit dem paretischen Arm Übungen durchführen, wenn er die
Instruktionen der Physiotherapie nur unzureichend verstehen kann?
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Durch eine Hirnschädigung können Störungen bei der Aufmerksamkeit, Motivation oder Emo-
tion auftreten. Diese können nicht nur eine Therapie erschweren, sondern sollten manchmal
gerade das Hauptziel der Behandlung sein.
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Jede Rehabilitation ist ein Lernprozess. Jedoch ist im Fall einer Hirnschädigung das Organ,
mit dem man lernt, selber geschädigt. Es ist daher notwendig, die biologischen Grundlagen
von Lernprozessen zu kennen und zu wissen, wie diese Lernprozesse sich bei einer Hirnschä-
digung ändern und trotzdem sinnvoll genutzt werden können.
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Mehr als bei anderen körperlichen Schädigungen haben Hirnschädigungen, die häufig mit Ein-
schränkungen von kognitiven Fähigkeiten einhergehen, eine Auswirkung auf die Interaktion
mit anderen Menschen. Ein wichtiger Aspekt in der Neurorehabilitation ist daher die Problem-
analyse auf allen Ebenen der sozialen Interaktion.
Alle diese Besonderheiten bedeuten, dass bei der Neurorehabilitation viele Therapeuten gleich-
zeitig involviert sind und machen die Neurorehabilitation zu einer ausgeprägten interdisziplinä-
ren Angelegenheit. Daher sollten alle Berufsgruppen die Grundlagen, die Möglichkeiten, aber
auch die Grenzen der anderen wenigstens im Ansatz kennen.
Im Zentrum stehen die individuelle Problemanalyse und die Zielsetzung der Behandlung, die
auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse eines Patienten zugeschnitten sind. Dabei sollten auch
die unterstützenden Aspekte der Umgebung berücksichtigt werden.
Ein wichtiger Teil dieses Buches beschäftigt sich mit Lernprozessen und Vorgängen, die wäh-
rend des Lernens im Gehirn auftreten. Vor allem mit der funktionellen Bildgebung kann die
Beteiligung von Hirnarealen bei bestimmten Funktionen untersucht werden. Es wurde in den
letzten Jahren gezeigt, dass auch das Gehirn von Erwachsenen nach einer Schädigung noch eine
enorme Kapazität zu plastischen Veränderungen besitzt. Sowohl beim Lernen von neuen Fähig-
keiten als auch während der Besserung nach einer Hirnschädigung findet eine Reorganisation
in ausgedehnten, miteinander in einem Netz verbundenen Hirnteilen, statt. Im Lauf der funk-
tionellen Besserung nach Hirnschädigung sind dabei unterschiedliche Phasen zu erkennen, in
denen einmal mehr die intakte, dann wieder die geschädigte Hirnhälfte aktiv ist. Diese plasti-