1993_10_02Cordula Haux_C - page 16

DAS INTERVIEW
Von der
anderen
Seite
Bielefeld.
Die Namcn werden nicht
genannt in Karin lrshaids Erzahlung
..Das Hochzeitscssen". Dennoch
weifi jecler bcim Lcsen, clafl. es clarin
um den Konilikt zwischen Israel unci
PalastinJ gcht. um Zersti:irung, Ver–
treibung. um cl,1s mi.ihevolle Alltagsle–
bcn nach cler Besetzung clieses Liln–
dcs clurch jenen Stailt. Karin lrshaicl
1,,,
im Caie Parlanclo bei einer Bene–
iizver.mst,lltung. dcrcn Erli:is clem
Verein zur Untcrsti.itzung palastinen–
sischer Fllichtlingskinder im Libanon
zugute kommt. Wir sprachen mit der
Bieleielcler Ki.instlcrin unci Autorin
i.iber ihr Buch unci den Konilikt, den
cs beschreiht.
Frage: ..
Das Hochzeitsessen" - der
Titel ihres Buches deutel die Vision
dcr Vcrsohnung an cler
grol~cn
Taiel
an. Sie haben den Text
vor
dem Ab–
kommen zwischcn Israel unci cler
PLO geschriebcn, das vieles veran–
clert hat. Wic sieht es mit lhrer Hoif–
nung heute ausl
lrshaid:
Die Situation ist durch die
letzten Wah len in Israel sehr schwie–
rig geworden. Bei meinen Besuch irn
.,.,
jetzt weiB
keiner mehr,
worauf er noch
hoffen soli
Somrner in Palastina habe ich diese
traurige. trostlose Stimmung erlebt.
Trostlos, weil man nicht mehr
wcif~.
wurauf man noch warten soli. Fruher
hat man gewartet in dcr Hoiinung,
clafS sich irgendwas andert. Dann kam
clas Abkommen. Nach cler Wahl blie–
ben desscn Versprechungen uner–
fi.illt, die objektive Situation wurdc
sogar schlimmer. jetzt weifS keiner
mehr, woraui er noch hoifen soli. Das
zermi.irbt die Menschen,
vor
allem
die jungen. lnzwischen scheint wie–
der etwas mehr
zu
gehen, schon ist
auch ein Stuck Hoffnung w ieder da.
Um aui clas Buch
zu
kommen: was
ich hoffe ist, dafl, man sich an einen
Tisch setzt, reclet, sich ken nen lernt,
dafS dieser menschliche Aspekt eine
Rolle spielt.
Frage:
Decken sich die Medienbe–
richte rnit lhren lnformationen?
Irshaid :
Seit den 60er Jahren reise
ich regelmafl.ig mi t meinem Mann in
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LOKALE KULTUR
Karin lrshaid in der Libertaren Leihbiicherei im Cafe Parlando.
dann sieht m<Jn die Situation anders
als wenn man nur Mcdicnberichte
kennt, clas ist ganz klar. lch war gleich
nach dem Sechs-Tagc-Kricg 1967 da.
Damals war allcs noch ganz neu,
i.iberrJ>chcnrl . Keiner hat geahnt, dal'
sich daraus einc jJhrzehntelange Be–
sctzung des Lanclcs cntwickeln wi.ir–
de. Mein Mann unci ich habcn ver–
sucht, in Jerus<llem zu lchen. Das ist
uns
a
us polit ischcn Gri.inclen aber
nicht gelungen.
Frage:
Hat es .in lhrer Familic unci
Verwancltschait Opier gegcbpnl
lrshaicl:
ja, irnmer. Es gibt keine Fa–
milie clort ohne Opier. Jecles Jahr
neue. Opier an Menschenleben. Unci
Opier an mcnschlicher Zukunit, die
dieses System forclcrt und die man
sich hier gar nicht klar macht. lunge
Menschen, die mit
1S, 16
rns Geiang–
nis geraten, die gefoltert
wer~lt·n,
die
.,.,
~as
.schlimmste
1st d1ese
Erniedrigung
verstort unci zersti:irt nJch Hause
komrncn. Das Schlirnmste ist diese Er–
niedrigung, dieses Geil.ihl menschli–
cher Zweitkldssigkeit, die Arroganz,
mit der die Besatzer die Besetzten de–
ml.itigen. Wenn alle gedeml.itigt sincl,
kann auch die GroiSfarnilie keinen
Halt mehr geben.
Frage:
Kr itik an Israel von deutscher
Seitc ist immer bcsonders hcikel.
Irshaid:
)a, sehr haufig. In den 60er
Jahren, als ich mcinen Mann heiratete
und dort gesehen habc, wie die israe–
lische Armce Napalmbomben auf die
Felder der Palastincnst•r warf unci al–
les verbrannte, hahe ich nach meincr
Rl.ickkehr in Deutschland davon he–
richtet - und cs wu rcle rnir nicht ge–
glaubt. lch wurde stattdessen ange–
feindet, gerade von lntellek tuellcn.
.,.,
Und ich
miihe mich urn
die Balance
D,ls war eine sehr schlimme Erf<Jh–
rung. Wenn wir irgendwas ,1us unse–
rer Geschichte gelernt haben, dann
das, daB wir kritisch sJgen sollen, was
hei uns und Lllll uns passiert DJ geht
c>
nicht, clafl. wir irgendwann die
Hand vor den Mund haltcn und
schweigen. Dann laden w ir aus !auter
Schulclgefi.ihl neue Schuld auf uns.
Frage:
Wurden Sie sich in diesem
Kor1flikt als unparteiisch, objektiv be–
zeichnen?
lrshaid :
Das ist nicht leicht
zu
sa–
gen. Natiirlich habe ich eine Position,
obwohl ich versuche, beide Seiten zu
schen, auch die andere Perspektive
zu zeigen. Das habe ich auch in rnei–
nem Buch getan. lch mi:ichte schon
objekt iv sein. Aber kann man das je–
mals? Es ist eine Gratwanderung, unci
ich mi.ihe mich um d ie Balance. Mein
Buch wi ll zu r Balance beitragcn. lch
Karin lrshaid
len. Was mich immer geargert hat,
warcn die Klischeevortstellungen von
,cliesen Palastincnscrn " in den l:lil–
clern der Mcdien. Man sah Gruppc•n
vor
einem Fllichtlingslager, die d,ther–
tobten. Aber ich habe keine tobcn–
den Gruppen erlebt, sondern Men–
schen, die dort leben wie wir hier le–
ben.
Frage:
Andert sich lhre Wahrneh–
mung mit cler Nahe oder Ferne zurn
Konflikt? Sehen Sie die Dingc aus der
Bieleielder Distanz nl.ichterner unci
beim Besuch in Palastina leidenschdft–
lichcrl
lrshaid:
Man ist in Palastina nati.ir–
lich naher dran. Andercrseits, wenn
ich dort bin in der Familie, dann dcckt
die Gastfreunclschaft vieles von dem
.,.,
Dann spiire ich
.
Ratlosigkeit und
Ohnmacht
Obel um uns herurn zu. Urngekehrt,
wenn ich dann
von
hier zuri.ickblicke,
denke ich voller Traurigkeit an die
Menschen dort, die ganz anclers le–
ben, die nicht unsere Mi:iglichkeiten
haben sich zu
aul~ern,
die sich anpas–
scn unci unterordncn mussen. Dann
spi.ire ich Ratlosigkeit unci Ohnmacht.
Unci wenn ich die Nachrichten sehe.
dann weifl. ich schon, was alles unter–
schwellig lauft. Wenn sich Leutc die
Hand schi.itteln, dann ist das ja nicht
die wirkliche Politik dort, die geht
ganz anders.
·
Frage:
Welche Rolle kann Kunst , Li–
teratur in diescrn Konflikt spielenl
lrshaid:
lch glaube schon, da& ihr
eine Rolle zukomrnt. Kunst verbindet.
erklart Konflikte, Gefi.ihle, Schicksale.
Bilder, Musik, Dichtung sind Spra–
chen, die irnrner verstanden erden.
Unci cs gibt die Kontakte zwischen is–
raelischen unci palastinensischen
Ki.inst lern, Austausch, Treifen, ge–
meinsame Aktionen, Ausstcllungen.
Die Menschen dort w ie i.iberall haben
ja nicht immer nur Politik im Kopf.
Die haben ihre Sorgen unci Vorstel–
lungen vom Cluck, haben Traurne,
wollen ihre Kinder erziehen, ihre Al–
ten begraben, mi:ichten weinen, la–
chen, feiern, trauern. Das ist clas
Le–
ben, das! Unci die Politik beeintrach–
tigt es ganz enorm.
Die
Fragen stellte Wolf
SciJimmang
Karin Irshaid: Das Hochzeitsessen. Fi–
scher Taschenbuch Verlag,
91
S.,
9,90
Mark
Karin lrshaid ist zusammen mit der
is–
raelischen Juristin, Menschenrechtlerin
und Autorin Felicia Lanl!er bei einPr
Interview durch Wolf Schimmang, veröffentlicht in der Neuen Westfälischen Zeitung am 23. Januar 1997
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