KULTUR
          
        
        
          
            I
          
        
        
          
            Karin Irshaid liest in der Gemeindebücherei Helpsen
          
        
        
          
            "Das Hochzeitsessen" ist keine Schonkost
          
        
        
          SüDHORSTEN.
        
        
          Der Titel der 1996 er–
        
        
          schienenen Erzählung läßt kulinarische
        
        
          Köstlichkeiten erwarten, vielleicht ein
        
        
          weiteres
        
        
          vollmundiges
        
        
          Sinnenwerk,
        
        
          nachdem Süskind und Schneider mit
        
        
          dem "Parfum" und "Schlafes Bruder"
        
        
          Nase und Ohr so überaus erfolgreich ver–
        
        
          sorgt haben. Fehlanzeige: Ein hochpoliti–
        
        
          scher Stoff von größter Ak–
        
        
          tualität, der Konflikt zwi–
        
        
          schen Israelis und Palästi–
        
        
          nensern, die Situation in
        
        
          den seit nunmehr dreißig
        
        
          Jahren besetzten Gebieten.
        
        
          Dabei wirkt das gemeinsa–
        
        
          me Essen, der rituelle Be–
        
        
          ginn einer hohen Zeit, und
        
        
          seine aromareiche wie far–
        
        
          benfrohe Zubereitung eher
        
        
          strukturbildend.
        
        
          Für die von Marianne
        
        
          Friedrich ("Der Buchla–
        
        
          den", Südhorsten) organi–
        
        
          sierte Lesung in der Schul–
        
        
          und
        
        
          Gemeindebücherei
        
        
          Helpsen hatte Karin Irs–
        
        
          haid, die in Bielefeld lebt
        
        
          und mit einem Palästinenser
        
        
          verheiratet ist, Passagen
        
        
          ausgewählt, die den
        
        
          nannten S
        
        
          -m-
        
        
          ungewohntem
        
        
          die Opfer ganz deutlich wird. Die jüng–
        
        
          sten politischen Entwicklungen ·in Sa–
        
        
          chen Siedlungspolitik bestätigen sie nur
        
        
          noch mehr in ihrer klaren Parteinahme.
        
        
          "Am
        
        
          schlimmsten ist die ständige Demü–
        
        
          tigung durch die Besatzungstruppen" ,
        
        
          sagt sie später im Gespräch mit den in–
        
        
          teressierten Gästen und beharrt für die
        
        
          Wer rebelliert, kann sich nur außer
        
        
          Landes einigermaßen in Sicherheit wie–
        
        
          gen. So spielt ein Teil der Handlung in
        
        
          Spanien, wo Menschen verschiedener Na–
        
        
          tionalität, Personen unterschiedlichen
        
        
          Glaubens zusammenfinden, sogar Juden
        
        
          und Palästinenser: an einem Tisch, auf
        
        
          dem ein Hochzeitsessen zubereitet wird.
        
        
          Die Frauen gehen (wieder
        
        
          einmal) voran ("Sie sind
        
        
          die Seele des Landes"),
        
        
          Verständigung scheint eine
        
        
          Chance zu haben, der
        
        
          Tisch wird zum Sinnbild
        
        
          der unvorbelasteten Be–
        
        
          gegnung.
        
        
          Karin Irshaid will mit
        
        
          ihrem Buch einen Beitrag
        
        
          I
        
        
          dazu leisten, "den Blick–
        
        
          winkel verändern" , Un–
        
        
          recht anprangern, auch
        
        
          wenn es Juden sind, die
        
        
          Schuld auf sich laden, Poli–
        
        
          tiker und ihre willigen
        
        
          Vollstrecker.
        
        
          Angesichts
        
        
          der aktuellen Lage vermag
        
        
          sie kaum politischen Opti–
        
        
          mismus zu verbreiten:
        
        
          "Das palästinensische Volk
        
        
          steckt in einer
        
        
          Art
        
        
          Depres–
        
        
          sion." Daß ihr Werk, das
        
        
          a er o
        
        
          1 1
        
        
          em am–
        
        
          phlet, sondern ein poeti–
        
        
          sches Kunststück ist, schon
        
        
          bald auch in Israel erschei–
        
        
          nen könnte, vermag sie sich
        
        
          scheinen lassen: Ein einfa–
        
        
          cher alter Mann, ein Palästi–
        
        
          nenser, ein Mensch, der
        
        
          (hier) lediglich eine Flinte
        
        
          bei sich hat, erlebt, wie Pan–
        
        
          zer auf das Haus seiner Fa–
        
        
          
            Keine Schonkost: Karin lrshaid präsentiert .,Das Hochzeitsessen".
          
        
        
          vhs
        
        
          noch nicht so ganz vorzu-
        
        
          milie zurollen. Es bleibt nur eine qual–
        
        
          mende Ruine, "wie ein Gerippe stand das
        
        
          Haus da ".
        
        
          Politische Ereignisse von globaler Be–
        
        
          deutung hinterlassen ihre grauenvollen
        
        
          Spuren im Alltag. Es sind, so banal das
        
        
          klingen mag, Menschen, die Geschichte
        
        
          erleiden, Menschen von Fleisch und Blut,
        
        
          Familienväter, Frauen, Freundinnen,
        
        
          Verwandte, Kinder - ein Gewebe weit
        
        
          unterhalb der Politik. Karin Irshaid trägt
        
        
          ihren Text so vor, daß ihr Mitgefühl für
        
        
          Palästinenser auf ,dem Begriff der Hei–
        
        
          mat. Was die, die das Land westlich des
        
        
          Jordan verlassen haben, verloren haben,
        
        
          wird deutlich, wenn die Autorirr die gera–
        
        
          dezu intime Beziehung der Menschen,
        
        
          der Familien zum Boden , zu den Früch–
        
        
          ten und zu den Düften des Landstrichs
        
        
          schildert, wobei sie auch zunächst banal
        
        
          wirkende Aussagen nicht scheut. "Hügel
        
        
          waren Hügel", keine Späherposten, kein
        
        
          Siedlungsgebiet - Erinnerungen an das
        
        
          verlorene Paradies.
        
        
          stellen. Aber Lesungen mit
        
        
          Resonanz, wie diese gut besuchte Premiere
        
        
          in Helpsen, die machen der sympathischen
        
        
          Autorirr Mut weiterzumachen. Eine Vor–
        
        
          aussage wagt sie nicht: So gut der liebevoll
        
        
          bereitete Mokka vor der Hochzeit schmec–
        
        
          ken mag, die Wege Palästinas und Israels
        
        
          sind im "Kaffeesatz am Innenrand der
        
        
          Tasse" nicht zu erkennen.
        
        
          VOLKMAR HEUER-STRATHMANN
        
        
          Karin lrshaid; Das Hochzeitsessen; Frankfurt
        
        
          1996, ISBN 3-596-12649-5
        
        
          Schaumburger Nachrichten vom 3.2.1998