1993_10_02Cordula Haux_C - page 26

KULTUR
I
Karin Irshaid liest in der Gemeindebücherei Helpsen
"Das Hochzeitsessen" ist keine Schonkost
SüDHORSTEN.
Der Titel der 1996 er–
schienenen Erzählung läßt kulinarische
Köstlichkeiten erwarten, vielleicht ein
weiteres
vollmundiges
Sinnenwerk,
nachdem Süskind und Schneider mit
dem "Parfum" und "Schlafes Bruder"
Nase und Ohr so überaus erfolgreich ver–
sorgt haben. Fehlanzeige: Ein hochpoliti–
scher Stoff von größter Ak–
tualität, der Konflikt zwi–
schen Israelis und Palästi–
nensern, die Situation in
den seit nunmehr dreißig
Jahren besetzten Gebieten.
Dabei wirkt das gemeinsa–
me Essen, der rituelle Be–
ginn einer hohen Zeit, und
seine aromareiche wie far–
benfrohe Zubereitung eher
strukturbildend.
Für die von Marianne
Friedrich ("Der Buchla–
den", Südhorsten) organi–
sierte Lesung in der Schul–
und
Gemeindebücherei
Helpsen hatte Karin Irs–
haid, die in Bielefeld lebt
und mit einem Palästinenser
verheiratet ist, Passagen
ausgewählt, die den
nannten S
-m-
ungewohntem
die Opfer ganz deutlich wird. Die jüng–
sten politischen Entwicklungen ·in Sa–
chen Siedlungspolitik bestätigen sie nur
noch mehr in ihrer klaren Parteinahme.
"Am
schlimmsten ist die ständige Demü–
tigung durch die Besatzungstruppen" ,
sagt sie später im Gespräch mit den in–
teressierten Gästen und beharrt für die
Wer rebelliert, kann sich nur außer
Landes einigermaßen in Sicherheit wie–
gen. So spielt ein Teil der Handlung in
Spanien, wo Menschen verschiedener Na–
tionalität, Personen unterschiedlichen
Glaubens zusammenfinden, sogar Juden
und Palästinenser: an einem Tisch, auf
dem ein Hochzeitsessen zubereitet wird.
Die Frauen gehen (wieder
einmal) voran ("Sie sind
die Seele des Landes"),
Verständigung scheint eine
Chance zu haben, der
Tisch wird zum Sinnbild
der unvorbelasteten Be–
gegnung.
Karin Irshaid will mit
ihrem Buch einen Beitrag
I
dazu leisten, "den Blick–
winkel verändern" , Un–
recht anprangern, auch
wenn es Juden sind, die
Schuld auf sich laden, Poli–
tiker und ihre willigen
Vollstrecker.
Angesichts
der aktuellen Lage vermag
sie kaum politischen Opti–
mismus zu verbreiten:
"Das palästinensische Volk
steckt in einer
Art
Depres–
sion." Daß ihr Werk, das
a er o
1 1
em am–
phlet, sondern ein poeti–
sches Kunststück ist, schon
bald auch in Israel erschei–
nen könnte, vermag sie sich
scheinen lassen: Ein einfa–
cher alter Mann, ein Palästi–
nenser, ein Mensch, der
(hier) lediglich eine Flinte
bei sich hat, erlebt, wie Pan–
zer auf das Haus seiner Fa–
Keine Schonkost: Karin lrshaid präsentiert .,Das Hochzeitsessen".
vhs
noch nicht so ganz vorzu-
milie zurollen. Es bleibt nur eine qual–
mende Ruine, "wie ein Gerippe stand das
Haus da ".
Politische Ereignisse von globaler Be–
deutung hinterlassen ihre grauenvollen
Spuren im Alltag. Es sind, so banal das
klingen mag, Menschen, die Geschichte
erleiden, Menschen von Fleisch und Blut,
Familienväter, Frauen, Freundinnen,
Verwandte, Kinder - ein Gewebe weit
unterhalb der Politik. Karin Irshaid trägt
ihren Text so vor, daß ihr Mitgefühl für
Palästinenser auf ,dem Begriff der Hei–
mat. Was die, die das Land westlich des
Jordan verlassen haben, verloren haben,
wird deutlich, wenn die Autorirr die gera–
dezu intime Beziehung der Menschen,
der Familien zum Boden , zu den Früch–
ten und zu den Düften des Landstrichs
schildert, wobei sie auch zunächst banal
wirkende Aussagen nicht scheut. "Hügel
waren Hügel", keine Späherposten, kein
Siedlungsgebiet - Erinnerungen an das
verlorene Paradies.
stellen. Aber Lesungen mit
Resonanz, wie diese gut besuchte Premiere
in Helpsen, die machen der sympathischen
Autorirr Mut weiterzumachen. Eine Vor–
aussage wagt sie nicht: So gut der liebevoll
bereitete Mokka vor der Hochzeit schmec–
ken mag, die Wege Palästinas und Israels
sind im "Kaffeesatz am Innenrand der
Tasse" nicht zu erkennen.
VOLKMAR HEUER-STRATHMANN
Karin lrshaid; Das Hochzeitsessen; Frankfurt
1996, ISBN 3-596-12649-5
Schaumburger Nachrichten vom 3.2.1998
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