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8.1 Jaap hat Schwierigkeiten beim Ankleiden
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8.1 Jaap hat Schwierigkeiten beim Ankleiden
In Kap. 1 wurde bereits kurz die Systematik des empirischen Zyklus beschrieben. Als wichtigs-
te Vorteile gelten:
●●
Dem therapeutischen Handeln liegt eine
Idee,
ein
Konzept
zugrunde. Man behandelt nicht
einfach ins Blaue hinein.
●●
Sowohl die Problemanalyse als auch die Behandlung sind
individuell
zugeschnitten.
Anhand des Beispiels von Jaap, der Schwierigkeiten hat sich anzukleiden, wollen wir die Metho-
de Schritt für Schritt nachvollziehen. Bei jedem Schritt geben wir einige praktische Tipps.
Jaap ist ein Amsterdamer Rechtsanwalt mit einer gutgehenden Kanzlei für den „kleinen
Mann“. Mit 62 Jahren erleidet er einen Schlaganfall. Zunächst ist der linke Arm gelähmt. Die
Lähmung bildet sich nach zwei Tagen schon wieder vollständig zurück. Jaap fühlt sich aber beim
Gehen unsicher. Mit jedem Schritt befürchtet er, irgendwo anzustoßen oder zu stürzen. Im Kran-
kenhaus erhält er Physiotherapie. Die langen Gänge im Krankenhaus sind für ihn ein Problem.
Ohne fremde Hilfe ist Jaap nicht in der Lage, die Physiotherapieabteilung zu finden. Außerdem
fällt auf, dass er sich morgens beim Ankleiden von den Schwestern helfen lassen muss. Aus die-
sem Grunde wird Jaap für weitere Behandlung in ein Reha-Zentrum verlegt.
Die Behandlungsstrategie im Rahmen des empirischen Zyklus umfasst folgende Punkte (s.a.
Abb. 1.7):
●●
Definition des Hauptproblems
●●
Definition des Behandlungsziels
●●
Beschaffung der Untersuchungsdaten
●●
Problemanalyse
●●
Formulierung einer Erklärungshypothese
●●
Formulierung der Interventionshypothese
●●
Entwurf eines Behandlungsplans
●●
Durchführung der Behandlung
●●
Auswertung der Behandlungsresultate
●●
Analyse von Behandlungsproblemen
Diese Schritte der Planung und Durchführung einer Therapie werden nun im Folgenden im
Einzelnen erläutert.
8.2 Was ist das Hauptproblem?
Wir beschreiben das Problem immer auf der Ebene der Funktionseinschränkung oder Behinde-
rung. Eine Agraphie ist zwar eine Störung, bedeutet aber für jemanden, der nur wenig schreibt,
keine weitgehende Einschränkung oder Behinderung. Beschreiben Sie das Problem so gut wie
möglich aus der subjektiven Perspektive des Patienten, also mit seinen Worten. Sagt der Pati-
ent beispielsweise „Ich fühle mich beim Gehen unsicher“, obwohl er allem Anschein nach sicher
gehen kann, liegt offenbar dennoch ein Problem vor.
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass
die Aussagen des Patienten bedeutsam und wahr sind.
Dieser Grundsatz ist in der Praxis nicht immer einfach durchzuhalten. Ein Aphasiker ist nicht
in der Lage, sein Problem zu beschreiben. Ein Patient mit einer Anosognosie wird jedes Prob-
lem entweder leugnen oder bagatellisieren. Andere Patienten sind unzugänglich, weil sie ängst-
lich, nervös oder niedergeschlagen sind.
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