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Störungszentrierte Therapie und Training
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10.1 Vorbemerkungen
Die in der Rehabilitationsmedizin verwendeten therapeutischen Konzepte entsprechen nicht
immer dem aktuellen Erkenntnisstand der Neurowissenschaften. Das war schon so im Jahre
1980 als Harris hierzu bemerkte:
„Viele traditionell arbeitende Behandler auf dem Gebiet der Rehabilitation versuchen, die
Motorik des Patienten mit Hilfe von Hands-on-Techniken zu verbessern, z. B. Fazilitation
oder krankengymnastische Übungen. Leider beruhen diese Methoden größtenteils auf inzwischen
veralteten Konzepten der Reflexneurophysiologie, wonach die gestörte Motorik des Patienten
auf eine Dominanz primitiver Reflexe und Reaktionen zurückzuführen sein soll, die es zu
unterdrücken gilt. Durch diesen Ansatz, der nur sehr begrenzte Behandlungserfolge aufweisen
kann, hat sich die Entwicklung moderner neuroedukativer Methoden verzögert.
Anderseits kennen wir genug Beispiele äußerst engagierter Eltern, die bei ihrem spastisch gelähm-
ten Kind ausschließlich durch die Anwendung allgemein bekannter Erziehungsgrundsät-
ze (gesunder Menschenverstand) bessere Ergebnisse erzielt haben als manch ein professioneller
Behandler, vielleicht auch, weil Eltern instinktiv erfassen, welche Faktoren bei ihrem Kind für
die Wiedergewinnung bestimmter Fertigkeiten wichtig sind.
Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass Problemstellungen der Rehabilitation eher als edukative/
pädagogische Probleme denn als medizinische Herausforderung aufgefasst werden sollten. Es geht
also um die Optimierung eines (z. B. motorischen) Lernprozesses.“
10.11 Eingeschränkte Krankheitseinsicht...........................................................................................353
10.11.1 Definition der Nosoagnosie (Anosognosie)............................................................353
10.11.2 Objektivierung der fehlenden Krankheitseinsicht ..............................................355
10.11.3 Wege zur Verbesserung der Krankheitseinsicht....................................................355
10.12 Störungen der exekutiven Funktionen ...................................................................................357
10.12.1 Definition.............................................................................................................................357
10.12.2 Therapeutisches Vorgehen............................................................................................358
Wenn die Analyse des Problems ergibt, dass eine bestimmte Störung die Ursache ist, dann
überprüfen wir, ob eine störungszentrierte Therapie oder Training effektiv ist. Bleibt der
Effekt aus, dann versuchen wir es mit einer Kompensationsstrategie oder mit Anpassun-
gen der Umgebung. Neurorehabilitation ist mehr als nur motorische Rehabilitation. Dar-
um besprechen wir die Vorgehensweise bei sehr unterschiedlichen Störungen − von Pare-
sen, Sensibilitätsstörungen und Hemianopsie über Apraxie, Agnosie und Aphasie bis hin
zum Neglect, zu Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen sowie Störungen der
Krankheitseinsicht und des Denkens. Insbesondere bei Aphasien lehrt auch ein Blick in die
Vergangenheit, dass es die jeweils beste Therapie nicht gibt. Die Methode der Wahl soll
immer individual zugeschnitten sein. Die meisten der zugrundeliegenden Konzepte sind
logisch und theoretisch klar. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass diese Methoden
auch immer effektiv sind. Die Anzahl der therapeutischen Möglichkeiten steht im schrillen
Kontrast zu einem eklatanten Mangel an Effektforschung. Dennoch gibt es einen Grund für
Optimismus: die heute bekannten Studien weisen aus, dass eine Behandlung möglich ist
und auch Jahre nach einer Hirnschädigung effektiv sein kann.
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