3.1 Definitionen
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Beispiel aus dem Alltag
Für ein heranwachsendes Kind, einen Auszubildenden oder einen Pflegepatienten muss das
Umfeld ein bestimmtes Maß an Reizangeboten bieten. Andererseits ist Aktion wichtig: Je mehr
ein Kind unternimmt (Spielen, Klavierstunde, Fußball usw.), desto größer ist die Chance, dass
sich auch motorische Spuren im Gehirn ausformen. Genauso sollten einem Auszubildenden vie-
le herausfordernde Tätigkeiten geboten werden. Und ideal wäre es, wenn es in einem Pflegeheim
für die meist passiven Bewohner etwas zu erleben gäbe und ein Angebot an sinnvollen Aktivitä-
ten bestünde
(therapeutisches Milieu)
.
Eine Schlüsselstruktur für neuronale Plastizität ist die Synapse. Für die Plastizität der neurona-
len Synapse sind zwei Grundmechanismen von entscheidender Bedeutung:
●●
Habituation
(Gewöhnung, verringerte Reizbarkeit): Bestimmte unwichtige oder lange Zeit
konstante Informationen werden nicht mehr weitergeleitet. Beispiele: Man lernt, auf unwich-
tige Reize wie Hintergrundverkehr, brummenden Kühlschrank, Fluglärm nicht mehr oder nur
noch in Einzelfällen zu reagieren.
●●
Sensitisierung
(Steigerung der Empfindlichkeit, Erregbarkeit, Empfänglichkeit): Wichtige
oder vitale Informationen werden verstärkt weitergegeben. Beispiel: Die Aufmerksamkeit des
Radfahrers nimmt beim Geräusch eines herannahenden Autos zu.
Vorstellbar ist, dass sich über diese beiden Grundmechanismen Informationsbahnen öffnen oder
schließen können. Stößt ein bestimmter Input auf ein neurales Netz, dann könnten so bestimm-
te Aktivitätsmuster ausgelöst werden (Abb. 5.3).
Es hat lange gedauert, bis sich die Forschung dem Thema der Mechanismen von Plastizität
zugewendet hat, wie sie z. B. in der erhöhten Sensibilität des Blinden (Blindenschrift), dem dif-
ferenzierteren Sehvermögen des Gehörlosen (Gebärdensprache), der Restitution des Schlaganfall-
patienten oder dem Erlernen von Fertigkeiten (Spielen eines Musikinstruments) zum Ausdruck
Abb. 3.2 Synaptische Plastizität
Grundlage der Plastizität sind morphologische und biochemische Veränderungen in unmittelbarer Nähe
der Synapse. Die synaptische Informationsübertragung wird entweder verstärkt (Sensitisierung) oder abge-
schwächt (Habituation).
Synapse
Verbreiterung, Verzweigung
Endköpfchen
Empfindlichkeit
postsynaptische Membran
molekulare Veränderungen
(Proteine, RNA)
Veränderungen des Kerns
(DNA)
synaptische Transmission
Sensitisierung
Habituation