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Wiederherstellungsfähigkeit des Nervensystems
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1. Direkt nach der Läsion entsteht ein zentrales Gebiet, in dem die gesamte Sensibilität (Tast-,
Schmerz- und Temperatursinn) aufgehoben ist. Da die für den feinen Tastsinn zuständigen
dicken A-Fasern sich weniger mit benachbarten Nervenfasern überlappen als die dünneren
C-Fasern (Schmerz), ist der Tastsinn über eine größere Fläche gestört (oder aufgehoben) als
der Schmerzsinn.
2. Diese unterschiedliche Überlappung führt zu Sensibilitätsveränderungen im Randbereich der
Läsion. Dort liegt darum ein anderes Verhältnis zwischen dicken und dünnen Fasern vor als
in der normalen Situation, wodurch ein dort ankommender Reiz ein anderes Spektrum von
elektrischer Aktivität und damit auch eine veränderte Empfindung hervorrufen wird. Dar-
um finden wir in den Randzonen Sensibilitätsstörungen wie Hyperpathie, Allodynie, Hyper-
algesie oder Hyperästhesie. Die oben stehende Erklärung für die Randzonen von veränderter
Sensibilität ist konsistent mit der Tatsache, dass diese Zonen direkt nach der Läsion bestehen.
Abb. 4.7 gibt ein Beispiel derartiger Randzonen.
3. Kollaterale Einsprossung dünner Fasern aus benachbarten Gebieten. Infolge eines relativen
Übergewichts von C-Fasern werden anfänglich gefühllose Gebiete jetzt überempfindlich. Die
bereits bestehende überempfindliche Randzone breitet sich weiter aus, während das Gebiet
des Totalausfalls schrumpft oder – im Falle kleiner Defekte – ganz verschwindet.
4. Die kollaterale Einsprossung der dickeren Fasern erfolgt später, wonach sich zwischen den
dicken und dünnen Fasern wieder ein gewisses Gleichgewicht einstellt. Die Sensibilität in der
Randzone normalisiert sich, während sie im Zentrum der Läsion noch immer gestört ist.
5. Aus der proximalen Nervenendigung wachsen neue Fasern in das denervierte Gebiet ein
(direkte Aussprossung). Dieser Vorgang verläuft bei den dünnen Fasern erheblich schneller,
wodurch die zentrale Region anfänglich nur von dünnen Fasern besiedelt und das gesam-
Abb. 4.7 Randzonen nach peripherem Ausfall, unmittelbar nach einer Läsion des N. medianus
Ein peripherer Nerv enthält zahlreiche Fasertypen, die sich unterschiedlich stark mit Fasern überlappen,
die aus benachbarten Nerven stammen. Darum entstehen nach dem Ausfall eines einzigen Nervs mehrere
Zonen (A bis C) mit unterschiedlich ausgeprägter Überempfindlichkeit (Druckschmerz, Wärme- und Kälte-
empfindlichkeit, Hyperästhesie) um eine zentrale Ausfallszone (D) herum. In den überempfindlichen Rand-
zonen herrscht ein relativer Mangel an dicken Fasern, wodurch auf Rückenmarksniveau eine Enthemmung
(Disinhibition) stattfindet (Ruch und Patton, 1979)
D. Anästhesie
Druckschmerzgrenze
C. Druckschmerz
Nadelstichgrenze
B. Kälte, Nadelstiche, Wärme und
starker Druck sind schmerzhaft
Berührungsgrenze (Wattebausch)
Kältegrenze
A. Extreme Hyperästhesie
für leichte Berührungen oder Stiche
Grenze für sehr leichte
Berührungen
Wärmegrenze
1...,24,25,26,27,28,29,30,31,32,33 35,36,37,38,39,40,41,42,43,44,...84
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